Sehr geehrte Damen und Herren,
zum letzten Mal fassen wir unter der Leitung von Bürgermeister Claus Unger Beschluss über den Haushalt der Gemeinde Ehningen. 16 Haushaltsberatungen und -verabschiedungen durfte Herr Unger als Kopf der Verwaltung und als Vorsitzender des Gemeinderates steuern und moderieren.
Haushaltsberatungenund Entscheidungsprozesse zu einzelnen Projektenwaren Momente, in denen sich unterschiedliche Zieleund Schwerpunkte,aber auch unterschiedliche Ansprüche an Transparenzund Beteiligung von Gemeinderat, Bürgerbeteiligung und der allgemeinen Öffentlichkeit zeigten.
In seiner Haushaltsrede im Dezember 2016 sagte Herr Unger: “Ich wünsche mir, dass der Andersdenkende akzeptiert wird“. Ich hoffe, dass wir Gemeinderätinnen und Gemeinderäte diesem Wunsch künftig besser gerecht werden – zusammen mit unserem neuen Bürgermeister, Herrn Lukas Rosengrün.
Akzeptanz, Ehrlichkeit und Offenheit sind Voraussetzungen für eine fruchtbare Diskussion. Und wir brauchen fruchtbare Diskussionen und konstruktive Zusammenarbeit, um Ehningen weiterzuentwickeln und große Herausforderungen zu meistern.
Zahlen, Daten, Fakten
Herr Unger trat seinen Dienst 2004 in einer Gemeinde mit 7.578 Einwohnern an. Zum Stand 31.01.2020 leben 9.165 Menschen im Ort. Eine Steigerung um 21 %.
2004 betrugen die Einnahmen aus der Gewerbesteuer 1,4 Mio. EUR, aus der Grundsteuer 0,9 Mio., aus der Einkommensteuer 3,0 Mio.
Heute liegen die Zahlen in anderen Dimensionen:
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Gewerbesteuer: 2018 floss der Rekordwert von 25 Mio. Euro zu; 2019: 9 Mio. (Planansatz), 2020: 12 Mio. (Planansatz); 2021: 9 Mio. (Planansatz)
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Grundsteuer: 2020: 1,5 Mio. Euro; diese Steuer ist seit Jahren relativstabil
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Einkommensteuer: 2018: 6,7 Mio.; 2019: 7,1 Mio.; 2020: 7,1 Mio.; in der Planung weiter steigend, wichtige, stabile Einnahmequelle
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Umsatzsteuer: 2020: 1,6 Mio. Euro, relativ stabil
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die Personalausgaben lagen 2004 bei 3,3 Mio. Euro; 2013: 5,2 Mio.; 2017: 7,6 Mio.; 2018: 8,0 Mio.; 2019: 8,9 Mio.; für 2020 sind 9,5 Mio. geplant.
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Verschuldungim Gemeindehaushalt (ohne Wasser, Abwasser): Ende 2017: 9,0 Mio.; 2018: 8,6 Mio., 2019: 7,2 Mio.; für 2020 sind 4,9 Mio. geplant.
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Gesamtverschuldung: Fremddarlehen inkl. Wasser und Abwasser: Ende 2017: 15,5 Mio.; 2018: 15,8 Mio.; 2019: 12, 8 Mio.; 2020: 11,5 Mio.
Ergebnishaushalt: das ordentliche Ergebnis lag 2019 bei -0,9 Mio. Euro; für 2020 ist ein Plus von 1,8 Mio. Euro geplant – damit liegt kein strukturelles Defizit mehr vor, laufende Ausgaben inkl. Abschreibungen werden abgedeckt – wobei die Planung für 2020 sicher korrigiert werden muss.
Bewertung
Die Einnahmesituation der Gemeinde Ehningen ist gut. Ein positiver Ergebnishaushalt, den wir für 2020 planen, ist ein wichtiges Kriterium für solides Wirtschaften.
Dementsprechend gut sind auch die Möglichkeiten, den Menschen im Ort vieles zu bieten.
Allerdings liegen wir beider pro Kopf-Verschuldung weiter im obersten Bereich der Kommunen im Landkreis.
Zugleich stehen wir vor großen Herausforderungen:
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die Folgen der Corona-Krise werden Auswirkungen auf die Einnahmesituation haben
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etliche große Projekte stehen an
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der Umbau der Verwaltung zu einer modernen Service-Organisation mit digitalisierten Prozessen und Leistungen ist erforderlich
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Ehningen muss attraktiver werden – für Kinder, Jugendliche, ältere Menschen, für Einzelhandel und Gastronomie
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Natur- und Klimaschutz müssen ein viel größeres Gewicht bekommen
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es wird schon 2020 und in den Folgejahren schwierigwerden, die dringendsten Themen zu finanzieren und dabei die Verschuldungsgrenze von 10 Mio. einzuhalten sowie den Ergebnishaushalt nicht ins Minus zu bringen.
Ein Blick auf die großen Projekte im Haushaltsplan verdeutlicht die Herausforderung:
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Rettungszentrum: dafür stehen 10 Mio. im Haushaltsplan; die vorläufige Kostenschätzung des Gesamtprojektes liegt bereits bei 17 Mio., der Anteil für die Gemeinde wird die 10 Mio. übersteigen
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Kinderhaus Herrenberger Straße: 4,7 Mio.
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Gemeinschaftsschule: erst für die Zeit nach 2023 mit 8 Mio. im Haushalt•
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Straßenanbindung IBM-Campus: 1,0 Mio. im Haushalt, der Anteil für Ehningen wird in der derzeit vorgeschlagenen Form höher sein; die Gesamtkosten liegen bei mindestens 2,5 Mio.
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Tennisanlage: 0,5 Mio.
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Hinzu kommen: Sanierung Sporthalle, Turn-und Festhalle, Hochwasserschutz, weitere Maßnahmen für die Kinderbetreuung, Rathausareal, Gewerbegebiet Leimental, weitere Sanierung der Wasser- /Abwasserinfrastruktur und vieles mehr.
Schnell kommt man hier auf ein Investitionsvolumen in den nächsten 5 Jahren von 30 Mio. Euro.
Hier sind wichtige Themen, bei denen wir die Gemeinde in der Pflicht sehen, noch nicht angesprochen:
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Jugendangebote wie ein Skatepark
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Elektromobilität/ Ladeinfrastruktur/ Car-Sharing
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Busverbindungen
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Ortskernbelebung und Verkehrskonzept
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Renaturierung, Natur- und Artenschutz, Klimaschutz
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lokaleEnergieerzeugung
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sozialer Wohnungsbau
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Erhalt historischer Gebäude und Wege
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Übernahme von Kreisstraßen und Realisierung eines für alle Teilnehmer attraktiven Verkehrs-und Wegenetzes
Was ist zu tun
Wir brauchen eine Mittelfristplanung unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien der Einnahmesituation.
Wir brauchen Bedarfsprognosen für Kinderbetreuung und Schule als Planungsgrundlage. Teure Fehlplanungen wie beim Kindergarten Moltkestraße oder nicht durchdachte und überteuerte Umsetzungen wie beim Kinderhaus Herrenberger Straße sind zu vermeiden.
Wir müssen die Projekte priorisieren und kostenminimiert realisieren. Die Gemeinschaftsschule und das Rettungszentrum müssen jetzt fundiert geplant und finanziert werden. Das gilt genauso für den Hochwasserschutz.
Der Anstieg der Personalkosten muss gebremst werden; die Verdopplung in den letzten 10 Jahren zeigt eine Problematik in der Kostenstruktur. Im Erziehungs-und Betreuungsbereich müssen auch weniger hochqualifizierte Kräfte eine Chance bekommen. Die geplante Einstellung eines Facility-Managers muss diskutiert werden.
Großprojekte müssen professionell und nach modernen Maßstäben geplant werden. Es kann nicht sein, dass die Verwaltung Dinge ohne Beteiligung der Bürger und des Gemeinderates durchplant, mit dem immer gleichen Architekturbüro, ohne Ideenwettbewerb und die Nutzung kreativer Lösungen. Beim Kinderhaus Herrenberger Straße wurde ursprünglich von 2 bis 2,5 Mio. Euro gesprochen, jetzt läuft es auf 5 Mio. Euro Gesamtkosten hinaus. Eine Ausschreibung von Planungsleistungen unterblieb, Alternativen der Umsetzung wurden nie betrachtet.
Der Straßen- und Kreuzungsbau für den neuen IBM-Campus droht zu einem ähnlichen Fall zu werden. Eine frühzeitige und offene Diskussion mit der IBM und unter Einbeziehung der Bevölkerung hätte ganz sicher zu einem anderen, transparenteren Verlauf geführt.
Stattdessen werden im Elfenbeinturm der Verwaltung Fakten geschaffen und wie üblich sind die Planungen auf einmal „alternativlos“. Auf Kosten des Steuerzahlers soll hier die Subventionierung eines Immobilieninvestors durchgedrückt werden. Dabei gibt es Alternativen – wie der Bauantrag in der Sitzung nächste Woche zeigt.
Dort, wo die großen Projekte nicht erfolgreich verlaufen, liegt typischerweise auch vermeintlich weniger Wichtiges im Argen. Dass wir Gemeinderät*innen und die Bevölkerung bis heute keine elektronische Version des Haushalts, in der man sowohl auf die Übersicht als auch tief in die Einzelposten navigieren kann, bereitgestellt bekommen, ist unverständlich. Hier hoffen wir auf eine fortschreitende Digitalisierung und das demnächst kommende elektronische Ratsinformationssystem.
Eine Rathauserweiterung steht sicher nicht vorne auf der Agenda. Zumal der Platzbedarf angesichts der zunehmenden Praxis, von zu hause zu arbeiten, grundlegend überdacht werden muss. Und die Europa- und bundesrechtlichen Vorgaben zur Digitalisierung von Verwaltungsprozessen werden große Veränderungen bringen.
Blick nach vorn – es geht um unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder
Wir wollen nach vorne schauen, freuen uns auf eine neue Ära in Ehningen.
Aus grüner Sicht müssen die Maßstäbe Nachhaltigkeit und Biodiversität bei jeder politischen Entscheidung mit angesetzt werden. Nicht weil es schöner oder netter oder vorbildlich ist, sondern essentiell, überlebenswichtig. Wenn die Corona-Krise vorbei ist, könnte man weitermachen, täglich, minütlich steigende Zahlen von vernichteten Lebensgrundlagen und zerstörten Lebensräumen zu präsentieren. Zur Anschauung und Sensibilisierung empfehlen wir eine Adresse im Internet: https://www.worldometers.info/de/
Das Bewusstsein für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen muss viel stärker in den Vordergrund treten.
Uns ist es wichtig, hier einen Strich unter die Vergangenheit zu machen. Es bringt nichts, Dinge nachzutragen, vermeintliche Fehler und Ungerechtigkeiten zu monieren.
Was auch immer war, wir möchten allen Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat die Hand reichen für eine positive und konstruktive Zusammenarbeit in der Zukunft.
Dabei freuen wir uns besonders auf die Klausurtagung, die der designierte Bürgermeister Herr Rosengrün plant und die die Grundlage für diese konstruktive Zusammenarbeit legen soll.
Wir hoffen darauf, dass wir in den kommenden vier Jahren – bis die Amtszeit des jetzigen Gemeinderates endet – endlich weitere Zukunftsthemen angehen können. Die Bürgerbeteiligung soll hier eine wichtige Rolle spielen.
Wir freuen uns darauf, im Gemeinderat die Strategie der Gemeinde Ehningen diskutieren zu können und eine Vision eines Ehningen 2030 oder Ehningen 2045 zu entwickeln – zusammen mit unserer kompetenten Verwaltung.
Ein großes Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Engagement, das derzeit besonders gefordertist.
Dem Haushaltsplan können wir zustimmen – über viele Positionen werden wir in den nächsten Wochen und Monaten unter Leitung des neuen Bürgermeisters sicherlich intensiv sprechen.
In diesem Sinne nochmals herzlichen Dank an Herrn Widenmaier und Frau Wolz und alle Beteiligten für den Haushaltsplan – und auf einen gelungenen Neustart und eine gute Zusammenarbeit ab dem 10. Mai 2020.
Für die Fraktion
Harald Bürkle, Fraktionsvorsitzender
(Es gilt das gesprochene Wort.)