Am 26.10.2018 bot die Begegnungsstätte in Ehningen Raum für einen spannenden politischen Diskurs – und für viele Zuschauer, die diesen verfolgten.
Der Ortsverband von Bündnis 90/Die Grünen hatte Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen, eingeladen, um Passagen aus seinem Buch “Wir können nicht allen helfen” vorzustellen und über seine Erfahrungen und Positionen zur Flüchtlingspolitik zu sprechen. Als Partner für eine anschließende Podiumsdiskussion war Rupert Kubon, OB von Villingen-Schwenningen, eingeladen. Axel Grasser, Radiomoderator von SWR4, führte professionell durch den Abend, der den über 200 Teilnehmern, Besuchern und Medienvertretern viele Denkanstöße gab.
Rupert Kubon kennt die tragischen und traumatischen Folgen von erzwungener Migration aus den Berichten seiner Mutter, die selbst aus Schlesien vertrieben wurde. “Das hat mich geprägt und ist bedeutsam für meine Haltung gegenüber Menschen, die eine neue Heimat suchen.”
“Ich komme aus einer Familie, die seit 500 Jahren im Remstal lebt.”, damit zeigte Palmer auf, dass seine Vorfahren nicht den Erfahrungshintergrund von Vertreibung und Flucht haben, sondern zu jenen gehörten, die zugewanderte Menschen oftmals als störend oder gar bedrohend empfanden. Er machte damit klar, dass man den Erfahrungshintergrund auch der Menschen, die schon bisher in Deutschland leben und mit Zuwanderung konfrontiert werden, berücksichtigen und in der Diskussion aufgreifen muss. Hierbei verwies Palmer auf den Teil der AfD-Wähler, der gebildet und wirtschaftlich gut situiert ist, aber Angst vor Veränderung und Überfremdung habe.
Über Ängste und Vorbehalte müsse geredet werden können, jemand, der die Meinung vertritt, Deutschland könne nicht jedes Jahr mehrere Hunderttausend Migranten aufnehmen, dürfe nicht gleich als Nazi bezeichnet werden, mahnte der Tübinger OB: “Sprechverbote bringen nichts, und grade von meiner Partei erwarte ich Toleranz gegenüber verschiedenen Ansichten und eine offene Diskussion.”
Palmer wie Kubon machten im Laufe des Abends klar, dass sie Politiker sind, die viel über das Thema wissen, praktische Erfahrungen haben und die verschiedenen Positionen und Perspektiven kennen und sich damit auseinandersetzen.
Der von den Medien kolportierte vermeintliche Gegensatz zwischen ihren Positionen in der Flüchtlingspolitik löste sich im Laufe der Diskussion weitgehend auf:
“Ich stimme mit den Aussagen in Ihrem Buch zu 90 % überein, vielleicht sind es sogar 95 %”, hielt Kubon fest.
Boris Palmer zeigte, dass er sich auf der Bühne und am Rednerpult wohlfühlt und weiß, wie er die Zuhörer erreicht. Mehrmals gab es großen Applaus für seine prägnanten Aussagen und Pointierungen.
Zum Beispiel als er davor warnte, die Probleme bei der Flüchtlingsintegration zu verharmlosen und nicht offen darüber zu diskutieren:
“Das ist so wie bei den Menschen, die sagen, ‘was soll das mit dem angeblichen Klimawandel und Klimaproblemen – der Wald steht doch noch’. Wenn die Grünen nicht schon vor langer Zeit auf die Gefahren durch den sauren Regen und andere Effekte hingewiesen hätten, wäre die Situation beim Wald heute dramatisch!”
Wie beim Klimawandel sieht es Palmer auch in der Flüchtlingspolitik als wichtig an, frühzeitig auf Probleme hinzuweisen und erforderliche Maßnahmen zu ergreifen. Anders als z.B. in den Niederlanden hat bei uns jeder Flüchtling den Anspruch auf den Rechtsweg, also eine gerichtliche Entscheidung zu seinem Asyl- oder Aufenthaltsrechtsantrag – darauf wies Palmer hin und leitete daraus ab:
“Wir müssen unsere Kräfte in der Asylatragsbürokratie auf die Personen konzentrieren, die sich nicht integrieren wollen und sich inakzeptabel verhalten – deren Fälle müssen entschieden und Abschiebungen durchgezogen werden. Es gibt keinen Grund dafür, dass einer auf dem Marktplatz in Tübingen mit einem Messer in der Tasche herumläuft”.
In den Gesichtern der Besucher und an ihren Reaktionen war abzulesen, dass genau hier vielen der Schuh drückt – es gibt die Angst vor Menschen, die sich möglicherweise nicht integrieren und an Regeln halten wollen und im schlimmen Fall anderen sogar Schaden zufügen.
Als wichtige Erkenntnis der Diskussion und gemeinsame Position von Boris Palmer wie auch Rupert Kubon zeigten sich zwei Handlungsfelder:
Die Menschen, die hier bleiben, müssen gut integriert werden und dafür sind Anstrengungen erforderlich. Daneben müssen endlich ernsthafte politische und wirtschaftliche Aktivitäten erfolgen, um die Flüchtlingsursachen zu bekämpfen.
Boris Palmer wurde dazu sehr deutlich: “Wir haben hier große Verantwortung und müssen die Ursachen von Flucht und Vertreibung bekämpfen – zumal diese auch durch unsere Wirtschafts- und Agrarsysteme begründet sind.
Das ist die verdammte große Aufgabe im 21. Jahrhundert!”
Stolz blick der Ehninger Ortsverband auf diese Veranstaltung zurück. Die hohen Sicherheitsauflagen der Verwaltung konnten Dank der großen Unterstützung durch Mitgliedern der umliegenden Ortsverbänden und durch den Kreisverband Böblingen gestemmt werden. Gefordert wurden 4 Kräfte eines Sicherheitsdienstes für die Einlaßlontrolle, 10 Ordner im Saal und zusätzlich 10 gekennzeichnete Mitglieder des Ortsverbandes um den Gästen größtmögliche Sicherheit zu bieten.